Den Gesundheits- und Pflegeberufen werden in der aktuellen Corona-Krise viel Solidarität und Anerkennung entgegengebracht – zumindest rhetorisch. Bei den so genannten systemrelevanten Berufen wird dessen mangelnde Bezahlung und fehlende Ausstattung auf einmal breit thematisiert. Der aktuelle Diskurs um die Ausbreitung von COVID 19 und dessen gesundheitspolitische Folgen macht besonders deutlich, wer sich um unsere Gesundheit und Versorgung kümmert und damit das gesellschaftliche und menschliche Leben aufrechterhält. Zu über 80 Prozent arbeiten Frauen in ‚systemrelevanten‘ Berufen. Diese Berufe sind aber gleichzeitig schlecht bezahlt, haben prekäre Arbeitsbedingungen und sind von Überlastungen und Personalmangel gekennzeichnet. Das ist keinesfalls neu. Die Krise der sozialen Reproduktion und ihre sozialen und geschlechtsspezifischen Auswirkungen werden schon lange von feministischen Politikwissenschaftlerinnen, Ökonominnen und Aktivistinnen diskutiert und kritisiert. Nun werden diese feministischen Themen und Anliegen, Corona sei Dank, erstmals öffentlich anerkannt und breit diskutiert.

Doch wieso sind es eigentlich vor allem Frauen, die diese systemrelevanten oder besser lebens- und gesundheitsrelevanten Berufe ausüben und warum unter so schlechten Bedingungen, wenn sie doch so relevant sind? Welche Auswirkungen hat die aktuelle viren-induzierte Gesundheitskrise auf die Beschäftigten in diesen Berufen im Speziellen und auf Geschlechterverhältnisse im Allgemeinen? Eine feministische politikwissenschaftliche Betrachtung zeigt, dass die Krise weit über Corona hinausreicht und das System schon länger krankt.

Dass Berufe im Care- und Bildungssektor so prekär sind, liegt an vielen Faktoren, die nicht zuletzt im kapitalistischen Wirtschaftssystem begründet sind. Zum einen ist die Profitmarge in den Pflege-, Gesundheits- und Erziehungsberufen begrenzt. Diese Berufe sind zeitlich aufwendig, an feste Orte gebunden und können daher kaum optimiert, sprich effizienter organisiert und profitabler gemacht werden. Menschen können nur begrenzt schneller gepflegt oder erzogen werden. Auch Bildung braucht seine Zeit. Daher werden Care-Berufe häufig auch im Gegensatz zu anderen Berufen schlechter bezahlt und unter prekären Arbeitsbedingungen verrichtet, was oft zu Burn Outs und anderen gesundheitlichen Folgen der Beschäftigten führt. Die Privatisierungstendenzen im Gesundheitssystem und im Pflegesektor haben ferner dazu geführt, dass die mangelnden Profite auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen statt durch sozialstaatliche Subventionierung kompensiert werden. Wenn sonst keine Gewinne zu machen sind und weniger öffentliche Gelder fließen, dann müssen eben die Personalkosten gespart werden. Dass diese kapitalistische Wachstumslogik fatal ist, hat sich im Gesundheits- und Pflegesektor schon lange vor Corona abgezeichnet. Die aktuellen Beispiele aus Italien, Spanien oder den USA zeigen nun besonders drastisch, wie tödlich die Auswirkungen der Privatisierung und Unterfinanzierung des Gesundheitssystems sind. Nicht zuletzt auf Druck von Deutschland und der EU wurde Italien und Spanien im Rahmen der letzten Finanz- und Staatsschuldenkrise ein rigoroser Sparkurs im Namen der Austerität im öffentlichen Sektor aufgezwungen, der zu der schlechten Ausstattung und dem Personalmangel von heute geführt hat. Feministische Politikwissenschaftler*innen und Ökonom*innen sprechen schon lange vor Corona von einer Krise der sozialen Reproduktion, deren Leittragende vor allem Frauen sind. Soziale Reproduktion schließt bezahlte und unbezahlte Sorge, Fürsorge, Bildung, Pflege und Hausarbeit mit ein. Eben all jene Tätigkeiten, welche die Gesellschaft im wörtlichen und übertragenen Sinn am Leben halten und das Leben lebenswert machen.

Frauen sind in den Care-Berufen aus unterschiedlichen Gründen überrepräsentiert. Zum einen sind in ihnen solche Fähigkeiten gefragt, die im Rahmen eines spezifischen Geschlechtermodells als typisch „weibliche“ Eigenschaften gelten: Fürsorgebereitschaft, persönliche Aufopferung und gute Kommunikationsfähigkeiten ist in diesen Berufen personifiziert. Und da die Berufswahl nicht aufgrund von Profitstreben erfolgt, wird eine schlechte Bezahlung zusätzlich legitimiert. Damit werden „weiblich“ konnotierte Werte, die in der aktuellen Krisensituation eine temporäre Anerkennung erfahren, zusätzlich abgewertet. Zum anderen lassen sich diese Berufe besser mit Teilzeitarbeit und daher mit der Gründung von Familien und der unbezahlten Sorge für Kinder und Angehörige verbinden. Umso mehr unbezahlte Haus- und Sorgearbeit Frauen verrichten müssen, desto schlechter sind wiederum die Bezahlung und Aufstiegschancen im Beruf. Auch wenn wenige Frauen in prestigeträchtigen Berufen Karriere machen, funktioniert das nur, weil andere weniger privilegierte Frauen, oft Migrantinnen, den Hauptteil der Haus- und Sorgearbeit übernehmen zu den oben erwähnten prekären Bedingungen. Die Verteilung der sozialen Reproduktionsarbeit ist daher eng mit sozialer und Geschlechterungleichheit sowie Rassismus verbunden.

In der aktuellen Krisensituation zeigt sich das besonders deutlich. Das Home-Office ist nur für hoch ausgebildete Menschen in besser bezahlten Berufen eine Option die eigene Gesundheit zu schützen, während das Gehalt weiterfließt. Die Schul- und Kitaschließungen führen zudem dazu, dass viele Frauen Haus- und Sorgearbeit nun auch noch in Vollzeit leisten müssen, wobei weiterhin davon ausgegangen wird, dass sich diese Tätigkeiten im Home-Office scheinbar nebenbei realisieren lassen. War die so genannte Vereinbarkeit schon vor der Krise eine Illusion, zeigt sich der Widerspruch zwischen sozialer Reproduktionsarbeit und kapitalistischer Verwertungs- und Erwerbslogik jetzt nochmal besonders deutlich. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Care-Bereich und im Service-Sektor, wie die Beschäftigten im Einzelhandel haben zwar als „systemrelevante“ Berufe einen Anspruch auf eine Notfallkinderbetreuung, sind aber gleichzeitig besonders ansteckungsgefährdet und durch Überstunden und Personalmangel ohnehin größeren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt.

Nun bleibt zu hoffen, dass die Zeiten von Corona verdeutlichen was in unserer Gesellschaft wirklich lebens- und überlebenswichtig ist: Die Sorge und Fürsorge von Menschen. Feministische Theorien haben sich schon länger mit der Illusion des autonomen und männlich konnotierten Subjektes in der Gesellschaft auseinandergesetzt. Die Idee nämlich, dass Menschen unabhängig und alleine für ihr Glück verantwortlich sind. Krisenzeiten machen deutlich, dass dem nicht so ist. Wir alle sind verletzlich, aufeinander angewiesen und voneinander abhängig. Menschen sind soziale Wesen, daher ist diese Abhängigkeit auch nichts negatives, auch wenn sie im Zuge der kapitalistischen Abwertung von Haus- und Familienarbeit in Verruf gekommen ist. Die aktuelle Gesundheits- und Lebenskrise ist deshalb auch als eine Chance für feministische Forderungen und gesellschaftliches Umdenken zu sehen. Die aktuellen Debatten verdeutlichen nicht zuletzt, dass menschliches Leben und Gesundheit im Vordergrund stehen können, während wirtschaftliche Interessen dahinter temporär zurückstehen müssen. Auf einmal scheint vieles möglich, was vorher als alternativlos abgetan wurde. Darin liegt die Chance, um über die Umgestaltung des ganzen Wirtschaftssystems zu diskutieren, so dass sich Wirtschaften und Arbeiten an den Bedürfnissen des menschlichen Lebens ausrichten und nicht umgekehrt.

Dabei braucht es aber nicht nur das Reden über Solidarität, sondern Handeln. Einmalzahlungen an Beschäftigte im Care-Bereich sind dabei ebenso wenig nachhaltig, wie das Klatschen vom Balkon. Weitergehende Schritte sollten alle Care-Berufe in reguläre Beschäftigungsverhältnisse mit Tarifbindung und höherer Eingruppierung überführen sowie private Pflege- und Gesundheitseinrichtungen (re)kommunalisieren, um sie der Marktlogik zu entziehen. Zudem braucht es eine radikale Arbeitszeitverkürzung für alle Berufe, so dass genug Zeit für die Sorge anderer Menschen und die eigene Fort- und Weiterbildung bleibt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen in ganz Europa würde zumindest in der jetzigen Situation die schwerwiegendsten Folgen der Krise für Frauen, Alleinerziehende, Senior*innen, obdachlose, kranke und (schein-)selbstständige Menschen abfedern. Langfristig muss aber ein gesellschaftliches Umdenken darüber stattfinden, dass gute Bildung, Erziehung, Pflege, Gesundheit und Lebensmittelversorgung Zeit und Geld brauchen und im Mittelpunkt unseres Lebens und Wirtschaftens stehen sollten. Feministische Ökonominnen und Politikwissenschaftlerinnen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Anerkennung der unbezahlten und bezahlten sozialen Reproduktionsarbeit im Kapitalismus nicht realisieren lässt. Aktuell wird deutlicher denn je, dass Profitorientierung und Wachstumsparadigma langfristig unsere Lebensgrundlagen zerstören: Das Klima und die Umwelt genauso wie die Gesundheit und die Sorge für und umeinander. Die Krisen, die durch Corona ausgelöst und verstärkt werden, sind nicht nur Gesundheits- und Wirtschaftskrisen, sondern vor allem Krisen der sozialen Reproduktion. Von einer Gesellschaft in der soziale Reproduktion bedürfnisgerecht, fair und solidarisch gestaltet wird, würden wir alle profitieren. Diese Einsicht gilt es über die Corona-Zeit hinaus beizubehalten, damit es kein Zurück zur Tagesordnung im Interesse von Profit und Wachstum gibt. Dann könnte die Bewältigung dieser Krisen auch eine Chance sein unser Miteinander feministisch, antirassistisch, und kollektiv zu gestalten. Dafür braucht es das Nachdenken und Ausprobieren von alternativen Wirtschafts-, Lebens- und Arbeitsweisen genauso wie den Widerstand gegen patriarchale, rassistische und nationalistische Tendenzen in der Corona-Krise und darüber hinaus.


Friederike Beier

Friederike Beier forscht, lehrt und publiziert zu materialistischem Feminismus, sozialer Reproduktionsarbeit und der globalen Regierung durch Zahlen.